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 Presse-Archiv

 2005-12-09: Eine Führung durch die Autorenwerkstatt  zurück 
Hallo Sie! Ja, Sie da! Keine Angst, der Vorhang geht frühestens in 15 Minuten auf! Kommen Sie, werfen Sie doch schnell noch einen Blick in die Autorenwerkstatt.
Es gibt eigentlich nur zwei wichtige Einrichtungsgegenstände: Dies hier ist die Werkbank. Dort an der Wand das Archiv der Persönlichkeiten.
Grundsätzlich gibt es ja zwei Sorten von Autoren: Die weltberühmten, wirklich großen Autoren und dann die kleinen Provinzautoren, wie meine Wenigkeit, die in der Regel einer einigermaßen seriösen Haupttätigkeit nachgehen, um ihr kärglich Dasein fristen zu können.
Doch beide haben eine Gemeinsamkeit - sie sammeln: Szenen, Bilder, Farben und Stimmungen des Lebens, und als Allerwichtigstes: Persönlichkeiten!
Sie können sich nicht in meine Nähe trauen, ohne beobachtet, analysiert und aufbewahrt zu werden. Und kaum dass Sie sich versehen, sind Sie schon in einen Sketch oder eine garstige Provinzkomödie verwurstet. Natürlich nicht namentlich, vor der Archivierung werden jedwede personenbezogenen Daten entfernt.
Auf der Werkbank wimmelt es nur so von Figuren, so nennt man die vom Handwerksmeister archivierten und anonymisierten* Persönlichkeiten. Sie schreien einander an, reden miteinander friedlich, turteln gar und finden sich schließlich in Szenen, Dialogen und Entwürfen.
Als ich vor gut einem Jahr, den „Zauberer vom Bammertsberg" aus einer tiefen Schublade der Werkbank zog, waren sie sofort alle wieder da: Die sieben Bauern, die berechnende und bigotte Lina Gerwera, der geheimnisvolle Zauberer, der mutige Schweinehirt, der feige Pfarrer und viele mehr.
An dieser Stelle muss ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den Profiautoren und den Provinzkrauterern erläutert werden:
Wir letzteren schreiben kein Stück, das dann für alle Ewigkeit so stehen bleibt, das können sich nur die Profiautoren leisten. Unsere Bilder sind passgenaue Auftragsarbeiten wie die Portraits der Maler der frühen Renaissance in Italien. Dem Auftraggeber wird ein Bild nach eigenen Wünschen angelegt. So passen wir die Figuren an die verfügbaren Schauspieler an.
Der Zauberer etwa von vor 20 Jahren war schwer, mittelgroß gewachsen und hatte eine Opernstimme. Doch trotz inständigen Bittens - Thomas Kern, der Original-Bammertsberg-Zauberer - war nicht mehr auf die Bühne zu kriegen.
Die Regie aber fand eine Alternative: Jaro mit Vornamen und mit einem Nachnamen, den man weder sprechen noch schreiben kann, und der Kerl ist
lang und hager. Also ziehen wir los mit ihm, gehen einen trinken, noch einen und noch einen. Ein Slowake, heute Allgemeinmediziner mit entsprechender Praxis auf dem Boxberg. Kümmert sich verstärkt um Spätaussiedler, da er Tschechisch, Slowakisch, Rumänisch und weiß Gott was sonst noch alles, fließend rauf und runter spricht. Endlich ist die Figur gefunden: A bähmischer Zauberer, ein Hauch von Schwejk ist mit drin, eigentlich a varrickter Hund. Manchmal spricht er sich tschechisch oder slowakisch. Ich lasse ihn, sehr zur Verzweiflung der Regie, eine komplette Szene in diversen Fremdsprachen sprechen. Doch mit einer neuen Figur auf der Werkbank ist es noch nicht getan. Ganz im Gegenteil, das Zusammenspiel im Stück verändert sich mit dem Verändern von Charakteren. Und da einige Figuren runderneuert oder gar komplett ersetzt wurden, entsteht ein fast neues Stück, wenngleich die zentrale Geschichte genau die von vor 20 Jahren ist.
Für die Rahmenhandlung stehen leider nur zwei Männer zu Verfügung, statt wie damals Frau und Mann.
Also bauen wir komplett um: Der ganze Rahmen verändert sich. Damals noch relativ undifferenziert, entsteht nun ein kleines Stück im Stück, mit eigener, etwas böser Handlung. Schließlich sagt einer der beiden Männer ab. Seine Figur wecke Erinnerungen in ihm. Eigentlich ja ein Kompliment für Autoren, aber es nützt ja nix.
Was höre ich da? Nun hat doch eine Frau zugesagt, die Szene zu spielen. „Super!" denke ich entnervt und sage „Dann schreibt's Euch grad selber um!".
„Ja klar, was sonst, haben wir schon!"
Zum Schicksal des Provinzautoren gehört die beliebige Austauschbarkeit seiner Texte. Wenigstens die Bauern müssen nicht neu gebaut werden. Es finden sich zu den Figuren passende Schauspieler und den Rest mimen die Kerweborscht mit Bravour.
Hoppalla, nun steht das Stück und ich hatte den Pfarrer ganz vergessen. Ein kleiner böser Mitläufer, der der richtig bösen Lina nicht annähernd das Wasser reichen kann. Im 2. Akt sagt er kaum noch was, steht nur noch da wie ein begossener Pudel und sieht sich mehr und mehr zum Spielball der Ereignisse werden. So eine richtig arme und dabei nicht mal bemitleidenswerte Figur, eine echte arme Sau.
Wo das Problem liegt? Ich muss ihn spielen!
(Michael Mende)