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Chronik
| (Rhein-Neckar Zeitung, 29. März 2001)
Und irgendwann trugen auch die Kulissenschieber Armbinden der faschistischen Organisation:
Die Goukelkappe inszenierte „Die Welle"
Bammental. Der Theaterverein Goukelkappe greift mit seiner aktuellen Inszenierung erneut ein ernstes Thema auf. Gezeigt wurde vor einer ausverkauften TV-Halle die Theateradaption des Morton Rhue-Romans „Die Welle".
Machtmissbrauch, Gruppenzwang und Diskriminierung sind allgegenwärtig und zeitlos. Um diese Erfahrung reicher wurde Ende der 60er Jahre auch der amerikanische Collegelehrer Ron Jones, Die Frage seiner Schüler, wie sich Faschismus am Beispiel des Deutschen Reichs entwickeln konnte, versuchte Jones mit den durch Disziplin und Gemeinschaft entstehenden Gefühlen zu demonstrieren. Was als pädagogische Lektion begann, endete kurz vor der Katastrophe: Schüler, die Mitglied in der für diesen Zweck gegründeten Organisation „Die Welle" waren, hatten erfolgreich begonnen, ein Terrorregime am College einzurichten.
Auch wenn, oder gerade weil neofaschistische Tendenzen in Deutschland laut Statistik im vergangenen Jahr noch stärker hervorgetreten sind, bleibt die ungezügelte Macht des Einen über den Anderen weiterhin in der Diskussion.
Auch der Bammentaler Theaterverein Goukelkappe e.V. gehört in die Reihe der Kritiker., Überzeugend präsentierte die Jugend-theatergruppe Reinhold Tritts Bühnenfassung des auf Ron Jones Erlebnissen beruhenden Romans „Die Welle" von Morton Rhue.
Wie die Regisseurin Gabi Vögele im Gespräch sagte, seien das Anliegen der Theatergruppe gewesen, ein Stück aufzuführen, das sich kritisch mit einem Problem auseinandersetzt. So konnten die Zuschauer eine bemerkenswerte Entwicklung des Theatervereins „Goukelkappe" beobachten. Nach Bühnenwerken Molieres, Kishons und anderer Vertreter der Komödie, standen die Schauspieler in den vergangenen beiden Jahren auch mit „Mutter Courage" oder „Faust" auf der Bühne.
Die Dynamik der „Welle" beschränkte sich nicht nur auf Bühne und Dialoge. Auch die vier Personen, denen der Kulissenumbau anvertraut wurde, traten in einheitlicher Kleidung auf, die sie später um die Armbinde der „Welle"-Organisation erweiterten. Die Musik passte sich während des Umbaus in ihrer Dramatik der Entwicklung des Schauspiels an. Gegen Ende der Aufführung war dann auch der Zuschauerraum Teil der Bühne geworden.
Aber auch hinter der Bühne war allerhand los. Davon merkten die Zuschauer zwar nichts direkt. Denn neben dem festen Stab an Maskenbildnern, Licht- und Tontechnikern halfen auch viele fleißige Hände, damit Bernd Segnitzs und Gabi Vögeies Inszenierung reibungslos über die Bühne ging.
Jeder der Schauspieler war - ganz im Sinn der „Welle" - ein wichtiges Element der Bewegung. Wie bereits der Szenenapplaus des Publikums zeigte, gelang die Darstellung jedes Einzelnen glaubhaft. Besonders galt dies für die Hauptdarsteller: Kay Leibert übernahm die Rolle des Lehrers, Ilana Miller, Alexander Stephan und Oliver Sigloch drei der Schüler.
Die Leistung der Jugendlichen kam vor allem bei etwas bizarren, aber nicht unrealistischen Szenen zur Geltung. Wenn beispielsweise die Begrüßung geprobt wurde, die an den ausgestreckt erhobenen Arm der Nazis und Neonazis erinnerte, konnte sich das Publikum ein Lachen nicht verkneifen. Das klang dann eher nach Befreiung vor Bedrückung denn nach Amüsement.
(Rüdiger Traxler)
(Gemeinde-Nachrichten, 30. März 2001)
Die Welle
Am 24. und 25. März 2001 führte die Jugendgruppe des Theatervereins Goukelkappe unter der Regie von Bernd Segnitz und Gabi Vögele das Theaterstück "Die Welle" von Morton Rhue und Reinhold Tritt auf.
Ein engagierter Lehrer an einer amerikanischen High School behandelt im Geschichtsunterricht den Holocaust im Nazideutschland. Um seinen Schülern begreiflich zu machen, wie so etwas geschehen konnte, beginnt der Lehrer ein Experiment, in dessen Verlauf sich die Schüler bedingungslos einer Idee, einer Bewegung und schließlich einem Führer unterordnen. weil sie dadurch Gemeinschaft und Stärke erfahren, was sie wohl lange vermißt hatten. Gemeinschaftsstiftende Symbole und Zeichen tun ihr Übriges, alle auf die gemeinsame Bewegung "Die Welle" einzuschwören.
Das Experiment endet schließlich, außer Kontrolle geraten, in einer schrecklichen Desillusionierung. Der Lehrer führt seinen Schülern vor Augen. dass sie ihm blindlings gefolgt sind, wie einst die Deutschen ihrem Führer Hitler, und dass sie, wie diese, dafür ihre Freiheit, ihre Selbstbestimmung und ihre Würde aufgegeben hatten.
Ein nüchternes, funktionales und sehr flexibles Bühnenbild ermöglicht den schnellen Wechsel der Spielorte und selbst der anfänglich etwas ermüdende Umbau zwischen den Szenen wird allmählich Teil des Stückes, da die Helfer, allesamt schwarz gekleidet, mit eben jener (deutschen) Disziplin ihre Arbeit verrichten, die ein zentrales Motiv des Stückes wird.
Bernd Segnitz und Gabi Vögele inszenierten dieses eindringliche und hochaktuelle Stück mit ihren engagierten, vorwiegend jugendlichen Schauspielern, die nach anfänglichen Unsicherheiten sich schnell freispielten und den Personen des Stücks ihren je eigenen, unverwechselbaren Charakter verliehen. Besonders hervorzuheben wären da zunächst Ilana Miller, als Laurie, die als Erste die fatalen Mechanismen "der Welle" durchschaut und Alexander Stephan, als ihr Freund David, der gemeinsam mit Laurie schießlich den Lehrer dazu veranlaßt, das schreckliche Experiment zu stoppen. Oliver Siegloch spielte sehr glaubwürdig den Außenseiter Robert, der durch die "Welle" zum ersten Mal Zugehörigkeit und Selbstwertgefühl erfährt, zum selbsternannten Bodyguard des Lehrers wird, und am Ende vor dem Nichts steht. Carolin Jakoby, Nathalie Kerstin, Melanie Heinrich und Johanna Buchmüller spielten die Mädchen der Klasse, sexy, selbstbewußt und natürlich gab jede ihrer Rolle eine individuelle Note.
Benjamin van Bebber als Brian und Clemens Boldt als Jason zeigten überzeugend, wie aus demonstrativ gelangweilten Halbwüchsigen, die sich nur für Mädchen und Football interessieren, schließlich begeisterte Welleanhänger wurden, bereit Gegner zum Schweigen zu bringen. Einer, der von Anfang an die Welle skeptisch betrachtete, war Alex, der Fotograf der Schülerzeitung, gespielt von Holger Segnitz und er lieferte schließlich auch die Fotos, die bewiesen, wie gefährlich das Experiment aus dem Ruder lief. weil es Schüler zu Intoleranz und Gewaltakten verführte.
Der Lehrer Ben Ross, dargestellt von Kay Leibert, gerät ohne es zu wollen in den Sog seines eigenen Experiments, teils fasziniert von der Macht, die ihm durch die Begeisterung und dem eifrigen Gehorsam der Schüler zuwächst, teils erschreckt und hilflos. Er geht immer wieder beschwichtigend über die warnenden Worte seiner Frau Christie. dargestellt von Lena v. Bebber, hinweg, bis schließlich die besorgte Direktorin (Waltraud Vögele) ihn zwingt, der bedrohlichen Sache radikal ein Ende zu bereiten. Er tut dies, indem er den versammelten Schülern, die in gespannter Stille den angekündigten Führer der Welle erwarten, ein überdimensionales Dia von Adolf Hitler vorführt, mit den Worten "Das ist euer Führer. Ihr wärt alle gute Nazis geworden." In dieser Szene wird die Bammentaler TV-Halle durch einen brillanten Regieeinfall plötzlich zur Turnhalle der High-School, und die Zuschauer werden ebenfalls zu Schülern, die der beklemmenden Atmosphäre einer totalitären Bewegung ausgeliefert sind. Es marschieren uniformierte Saalwächter auf in militärischer Manier entfalten sie überall Transparente mit den Parolen der Welle.
Die Konfrontation mit dem Hitlerbild und somit mit den eigenen unbewußt-faschistischen Neigungen läßt zutiefst beschämte und verunsicherte Schüler zurück. Schade, dass gerade in dieser entscheidenden Szene das bisher so intensive Spiel etwas verblaßt, der Lehrer eher arrogant statt betroffen wirkt und die Schüler das Entsetzen nur verhalten zum Ausdruck bringen.
Dennoch spürt der Zuschauer deutlich, wie schmerzhaft diese desillusionierende Erfahrung der eigenen Verführbarkeit die jungen Menschen getroffen haben muß und man fragt sich, als der Vorhang fällt, wie die beschädigte Selbstachtung wieder gefunden werden kann. Am Ende jedenfalls stehen die glücklichen Spieler strahlend und voll berechtigtem Stolz über ihre ganz hervorragende Leistung auf der Bühne, wissend, dass dies glücklicherweise nur ein Spiel war, wenngleich es auf einer wahren Geschichte basiert. Ihnen und den beiden Regisseuren, ebenso dem gesamten Team, das vom Bühnenbild bis zur Tontechnik alles perfekt gestaltet hatte, galt der herzliche Applaus des Publikums.
Mir bleibt noch zu sagen, dass mich seither wieder neu die Frage bewegt, wie eine demokratische Gesellschaft, dieses zutiefst menschliche Bedürfnis nach echter Gemeinschaft statt Konkurrenz, nach Identifikation mit einer großen Idee (größer als die Idee des totalen Konsums) befriedigen kann. Und dass diese Sehnsüchte gerade bei jungen Menschen da sind und vielfach ungestillt bleiben, zeigt ja die zunehmende Neigung mancher Jugendlicher, sich rechtsradikalen (Ver)führern wieder verstärkt zuzuwenden.
Sie wollen in diesen Bedürfnissen ernst genommen, nicht abgeurteilt werden. Insofern ist die Aufführung "der Welle" ein entscheidender Beitrag für die öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik und sie zeigt ganz konkret, wie die Arbeit an einem solchen Projekt jungen Menschen genau das vermitteln kann, worum es geht: Selbstwertgefühl. Gemeinschaftserfahrung und Stolz auf einen gemeinsam errungenen Erfolg. Das verdient unsere höchste Anerkennung.
(Christa Kleinbub-Dunkl) |
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