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 Chronik

 Pygmalion » zurück zur Gesamt-Liste 
Autor: frei nach George Bernard Shaw
Regie: Andrea van Bebber
Aufführungsort: Bammental, TV-Halle
Zeitraum: 2010-11-05 bis 2010-11-07

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 Kritik 
(Rhein-Neckar Zeitung, 8. Nov. 2010)

Wie aus der Reilser Elisa eine Herzogin werden sollte
Theatergruppe "Goukelkappe" glänzte mit der Komödie "Pygmalion - oder Zieglers Lisbeth lernt ohschdännisch babble"

Bammental. (tri) Die neue atemberaubende Aufführung des Theatervereins "Goukelkappe" ist moralisches Lehrstück und beste Unterhaltung in einem. Lässt der Untertitel eher auf Bauerntheater schließen, entpuppt sich dies als psychologisch tiefgründige Komödie. So wie George Bernhard Shaw in "Pygmalion" seine Helden in satirischer Überspitzung zeichnet, hat Regisseurin Andrea van Bebber das Geschehen liebevoll mutig nach "Bommedol" verfrachtet. Entgegen der Liebesgeschichte von Professor Higgins und Eliza in "My fair Lady" wird sich ihre Elisa aber am Schluss emanzipieren.

Stefanie Bittner gelingt die Gratwanderung, die arme Blumenverkäuferin Elisa Ziegler aus "Reilse" mit resoluter Mimik und deftiger Mundart authentisch zu verkörpern. Als feine Dame in juwelengespickter Robe plaudert sie ebenso gekonnt. Gelernt hat sie das Hochdeutsche beim arroganten Professor Heinrich Kluge; Hannes van Bebber glänzt in dieser schwierigen Rolle. Der ewige Junggeselle ist überheblich und gänzlich ohne Manieren. Ganz anders als sein Mitstreiter Oberst Prittwitz (Kay Leibert). Beide treffen auf dem Theaterplatz in Heidelberg auf das Blumenmädchen Elisa. Dort "uff de Gass" spielt sich das Leben der einfachen Leute ab. Sie tanzen, lachen, küssen und haben ihre "Freid". Die feine Familie Steinsfurth (stets echauffiert: Michael van Kampen, Rebecca Mannot und Waltraud Vögele) wollen mit diesem "Pack" nichts zu tun haben. "Isch bin ä ohschdännischi Fraa", poltert Elisa. Professor Kluge und Prittwitz machen sich über ihren "Rinnstein-Jargon" lustig. "Die ist herrlich ordinär und fürchterlich verdreht. Doch ich wette, dass ich aus ihr eine Herzogin mache", meint der Gelehrte.

Oberst Prittwitz steht Elisa bei, während Prof. Kluge schmollend auf dem Sofa sitzt. (Foto: Trilsbach)
Der begüterte Oberst willigt in das Experiment ein und übernimmt das Salär. Elisa zieht nach vielem Hin und Her in der Panorastraße bei Kluge ein."Ja,ja, jetzt hat sie's!", freut der sich. "Zieglers Lisbeth" ist wie verwandelt, vermischt aber das Hochdeutsche mit gewohnt deftigem Vokabular. Vater Ziegler (Didi Hassmann) will seine Tochter nicht mehr zurück und nur "e Fünferle vum Meeschter". Der Haushälterin (Bella Hassmann) passt vieles nicht an ihrem Professor. Auch seine Mutter (Christa Kleinbub-Dunkl) durchschaut das zwiespältige Spiel. Die Wette wird zwar gewonnen und Elisa gibt bei einem Empfang in der höheren Gesellschaft die perfekte Herzogin. Doch ihr Inneres ist gespalten. Sie weiß nicht mehr, wohin sie gehört und verlässt den mit Pantoffeln um sich werfenden Professor. Fortan will sie selbst armen Leuten Phonetik-Unterricht geben.

Mit Ohrwürmern, Lokalkolorit und spitzen Dialogen begeistert die Aufführung die Zuschauer, bindet sie in der TV-Halle in einzelne Szenen direkt ein. Tosenden Applaus gibt es für das Ensemble die mehr als 20 Laienschauspieler und Sänger, für Bühnen- und Maskenbild, Kostüme, Licht- und Tontechnik. Die modernen Kompositionen von Robert Bittner und den Musikern Thomas Ochs, Marco Tecza und Bernd Segnitz sind weitere Höhepunkte in Anlehnung an Volkstümliches in Harmonie und Rhythmus.



"Wonns schifft, schiffts!" …
… diese Worte beschrieben knapp und bezeichnend, wie es eben nur die Mundart kann, nicht nur das Wetter im Prolog zu "Zieglers Lisbeth lernt ohschdänisch babble", einer Adaption des weltbekannten Theaterstücks "Pygmalion" von George Bernard Shaw, sondern führten u. a. mit dazu, dass der Theaterverein Goukelkappe e. V. nach gelungener und ausverkaufter Premiere am Freitagabend, auch samstags in der brechend vollen TV-Halle sein neuestes Stück präsentieren durfte. Die Idee, das Stück auf heimischen Boden zu verlegen und den Sprach- und damit Gesellschaftskonflikt der gehobenen Klasse mit dem einfachen Volk in Hochdeutsch und Bammentaler Mundart zu thematisieren, traf die Bammentaler aller Couleur mitten ins Herz. So hatte man von Anfang das Gefühl, der Premierenerfolg habe sich im Dorf bereits herumgesprochen, denn das Publikum war sofort in bester Stimmung und die Dämme für Szenenapplaus und schallendes Gelächter, aber auch halblautes Gegrummel in den Reihen, wenn die Reilser wieder einmal ihr Fett abbekamen, waren von Beginn an geöffnet.
Atmosphärisch diente dann aber die Anfangsszene dazu, auch den Letzten abzuholen: Zunächst bot sich einem das bunte (Stand-)Bild eines Querschnitts der Gesellschaft der ersten Hälfte des vergangen Jahrhunderts – Bettler, feine Damen und Herren, Bauern, eine Blumenverkäuferin … durch die zunächst nur punktuelle Beleuchtung nahm der Zuschauer nicht alles auf einmal, sondern immer wieder ein Stückchen des Geschehens wahr und wurde dann gänzlich eingestimmt, als die Musik losging und die Szene wortwörtlich zum Leben erweckte. Zu teils fröhlichen, gelösten Harmonien immer wieder aber auch mit einem Hauch Melancholie versetzt, entwickelte sich eine Art rhythmischer Tanz der gesamten Darsteller, der schließlich in einer gespaltenen Bühnensituation endete: auf der einen Seite die feinen Pinkel, die besseren Herren und Damen aus gutem Hause, auf der anderen Seite das einfache Volk von der Straße, das derb aber fröhlich die Bühne dominierte. Unterstützt wurde diese Wahrnehmung durch liebevoll ausgesuchte und hergerichtete Kostüme (toll auch, dass diese bei den Hauptfiguren im Verlauf des Stücks sogar wechselten!) und ein zunächst ganz einfaches, nicht ablenkendes Bühnenbild, das sich später in die eleganten Wohnungen der Familie Kluge verwandeln lassen sollte, wobei einem die Umbaupausen durch die instrumentale Interpretation der in den Szenen vorgetragenen Lieder (ganz stark die live-Band um Robert Bittner, der auch insgesamt für die Musik verantwortlich war und alle Stücke selbst komponiert hat) oder auch Sprechaufnahmen des Phonetik-"Labors" verkürzt und versüßt wurden.
Der langjährige Besucher der Goukelkappe-Veranstaltungen weiß aus der mittlerweile über 30jährigen Vereinsgeschichte, dass man hier immer wieder mit neuen Highlights rechnen muss; Stücke mit Musik und Gesang gab es dabei schon öfter, dass aber gleich die ganze Truppe singend und tanzend ins Stück einführt, ist neu und bildete für mich - früh schon - den Höhepunkt des Abends und der Produktion! Toll!!
In diesem Kontext lernte der Zuschauer dann auch die Protagonistin des Abends, das Blumenmädchen Elisa Ziegler (Steffi Bittner), kennen und ihr Gegenüber, den Phonetikprofessor und eingefleischten Junggesellen Heinrich Kluge (Hannes van Bebber). Und trotz oder gerade wegen ihres "Rinnsteinjargons" war von Anfang an klar, auf wessen Seite die Sympathien des Publikums lagen: Steffi Bittner spielte die Zieglers Lisbeth supersüß, als mal laut pfienzende, mal noch lauter keifende, aber immer "oschdännischi Fra" und bestach in diesem ersten Teil ihrer Rolle mit einer dermaßen echten Mimik und Gestik, dass man später - nach ihrem Wandel zur feinen Dame - kaum glauben konnte, dieselbe Schauspielerin vor sich zu haben. Hannes van Bebber bot ein fein differenziertes Ekel der "upper class" dar - hochmütig-arrogant, zynisch-hämisch, amüsiert-höhnisch - und gefiel ganz besonders im Zusammenspiel mit Oberst Prittwitz (zu jedem Zeitpunkt überzeugend gespielt von Kay Leibert) und seiner Mutter (Crista Kleinbub-Dunkl mit einer grandiosen Gesangseinlage!), wenn er schmollend wie ein kleiner Junge nicht einsehen wollte, dass sein Lieblingsspielzeug Elisa eben doch nicht ihm gehörte.
Neben den beiden Protagonisten war es dann aber Didi Hassmann alias Elisas Vater, de Zieglers Schorsch, der dank seiner genialen Mimik, seines hingehauchten Lachens und nicht zuletzt seines coolen Liedes die Herzen des Publikums im Sturm eroberte und in orginalster Mundart den Saal zum Toben brachte.
Überhaupt fiel auf, wie gut besetzt worden war und wie glaubhaft und natürlich alle Darsteller agierten, auch wenn viele Rollen rein atmosphärischen Charakter hatten und letztlich nur den Hauptdarstellern die Bühne bereiteten. Eine tolle Besetzung, viele gute Ideen, eine eigene Interpretation des Stoffes, gründliche Regiearbeit – das zeichnet einmal mehr die Arbeit von Andrea van Bebber aus, die a la Alfred Hitchcock selbst in einer kleinen Rolle in "ihrem" Stück auftauchte.
So ein gelungener Regiestreich und ein weiteres Highlight war dann die Szene vom Theater im Theater. Oberst und Professor testen ihren Schützling Elisa beim ersten Ausgang ins Theater, wo sie auf die ach so vornehmen Subjekte der Gesellschaft trifft, die, statt über sie die Nase zu rümpfen, ihre noch nicht ganz "Gossen"-freie Sprechweise als neuesten Chick imitieren (herrlich, die wie Elisa Fächer-rudernde Klara (Rebecca Mannott)!) - was dann auch den Zuschauern "voll an die Nieren" geht. Gegeben wird im Theater natürlich ein Ex-Stück der Goukelkappen, das Märchenmusical "Undine"!
Herausheben möchte ich schauspielerisch neben dem schon erwähnten Volk, das zu jeder Zeit die Stimmung trug und prägte, besonders Bella Hassmann, die in der eher undankbaren, weil sehr steifen Rolle der Haushälterin Kluges durch perfekt durchgehaltene Contenance bestach, gerade dadurch in mancher Situation die Lacher auf ihrer Seite hatte und zudem noch dermaßen sicher ihr Sololied vortrug, als würde das eben zu ihrem Job gehören.
Aber was passierte denn überhaupt? Lisbeth will ordentlich, also hochdeutsch sprechen lernen, um in einem Blumenladen verkaufen zu können und nimmt Stunden bei Professor Kluge. Der macht aus dieser ernsthaften Lebensplanung Elisas ein "Spaßprojekt" ("Wie interessant ist es, einen Menschen in einen neuen zu verwandeln."), indem er mit dem Oberst wettet, sie in sechs Monaten so weit zu haben, dass selbst die feine Gesellschaft sie für eine Gräfin hält. Das Problem liegt auf der Hand und gab dem ausgelassenen Treiben auf der Bühne den nötigen nachdenklichen Schuss: Während Kluge sich als Schöpfer und Eigentümer der neuen Elisa sieht, sie aber gleichzeitig als Einziger weiter behandelt, als käme sie aus der Gosse, verliert Lisbeth mit ihrer Sprache ihre Herkunft und damit ihren Rückhalt. "Wo kann ich hin? Was soll aus mir werden?", sind die Fragen, die sie dem Professor stellt, nachdem das "Experiment" vermeintlich geglückt ist und Elisa auf einer Gartenparty als angebliche Gräfin ein voller Erfolg war - ganz besonders in dieser Phase brilliert Steffi Bittner und das Publikum nimmt betroffen ihre absolut anrührenden Verletzlichkeit wahr, gekrönt von dem für mich schönsten Lied des Abends: "Und niemals kann sie eine Dame sein, wenn niemand in ihr eine sieht".
Während sich das Premierenpublikum am Freitag mit diesem Identitäts- und, ich hoffe, sie können es trotz Sarrazin noch hören, Integrationsproblem Elisas auseinandersetzte, verfolgte ich im Fernsehen Wieland Backes‘ Nachtcafe zum Thema: "Mit Muslimen in der Schule - Zumutung oder Chance?" Da erzählte ein Deutsch-Türke, Mittdreißiger, Jurist, von seiner harten Zeit in der Schule, Hauptschule, Realschule, dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und schließlich seinem Ziel und Erfolg, einem bestens abgeschlossenen Jurastudium. Und was jetzt? Wo kann er hin? Was soll aus ihm werden? Nichts – zumindest nicht bei uns in Deutschland. Denn welche Klientel zieht ein Türke schon in eine Anwaltskanzlei? Zurück zu den Deutsch-Türken der Unterschicht kann er aber auch nicht – mit Abitur, Examen … ?! Und in die Türkei? Da war er höchstens mal im Urlaub …
Ich frage mich nach Besuch des Stückes, ob Shaw gesellschaftspolitisch wirklich so überholt ist, wie mancher noch am Wochenende behauptete …
Elisa allerdings löst ihr Problem – sie beschließt, zu unterrichten, an andere Mädchen weiterzugeben, was sie gelernt hat und löst sich damit aus den Fesseln ihres „Teufels“ Kluge, der ihr bis zuletzt den Respekt und die Freundlichkeit schuldig blieb, die, wie mancher es aus der Hollywood-Bearbeitung zu "Pygmalion", "My Fair Lady" kennt und sich vielleicht auch gewünscht hatte, auch hier zum Happy End hätten führen können. So bleibt bei der Goukelkappe das Ende offen und Kluge und Elisa werden nur ein einziges Mal zum Paar des Abends, nämlich bei der Verbeugung zum abschließenden lautstarken, langanhaltenden und sehr verdienten Schlussapplaus.
(ML)