(Gemeinde-Nachrichten, 14. Mai 2004)
(Rhein-Neckar Zeitung, 27. Mai 2004)
„Lieber doof sein“ , ein Stück von und für Jugendliche.
Ein gutes Dutzend junger Leute aus Bammental haben am Wochenende ein Stück auf die Bühne gestellt, bei dem den Zuschauern manchmal die Luft wegblieb.
Fast eineinhalb Jahre lang haben sie, unterstützt und angeleitet von Lena van Bebber und Stefanie Bittner, an ihrem eigenen Stück geschrieben, und das Ergebnis ist beeindruckend: Ein packendes, hochaktuelles Stück, das so echt und realistisch das Thema Außenseiter und Gewalt darstellt, dass es einem unter die Haut geht.
Die jungen Autorinnen und Autoren haben sehr genau beobachtet:
- Die Hilflosigkeit der Opfer und Täter, wie andere ausgegrenzt, gequält und gedemütigt werden, weil sie sich keine Markenklamotten leisten können oder eben nicht cool sind. Oder einfach, weil man irgendeinen Schwächeren braucht, auf dem man rumhacken kann, um sich selber besser zu fühlen, um von den eigenen Ängsten abzulenken.
- Die Lehrer, die ahnungslos sind, ihren Unterricht stur durchziehen und wegsehen, wenn Gewalt unter Schülern herrscht.
- Die Eltern, die nur mit sich selbst beschäftigt sind, nicht zuhören, nichts begreifen von der inneren Not, mit der sich ihre heranwachsenden Kinder herumschlagen.
– Und die Rolle der „Alten“ in unserer Gesellschaft, die ins Altersheim abgeschoben in ihrer eigenen Welt leben, in der es ebenfalls massive und subtile Formen von Unterdrückung gibt.
Denn in die Haupthandlung werden mehrmals Szenen aus dem Altersheim eingefügt, in dem Alexas Oma lebt. Diese Szenen sind lustig und makaber zugleich und ermöglichen dem Zuschauer etwas Distanz zu den bedrückenden Ereignissen im Leben der Jugendlichen.
Erzählt wird die Geschichte der Außenseiterin Judith, die Opfer zunehmender Gewalt durch ihre Mitschüler wird, bis das verzweifelte Mädchen keinen Ausweg mehr sieht. Sie will vom Dach der Schule springen. Und jetzt endlich wagt Maja, eine Mitschülerin aus der Clique der alle beherrschenden Alexa auszuscheren. Sie bittet Judith um Verzeihung, bietet ihr ihre Freundschaft an. Andere Mitschüler schließen sich ihr an, der Bann ist gebrochen.
Am Ende steht Alexa, bisher die unangefochtene, grausame Königin der Klasse, alleine da. Sie, die selbst auch ein Opfer ist ihrer überbehütenden aber schwachen Mutter und ihres autoritären Vaters. Dieser Eltern, die, wie auch Judiths Eltern, ihrer Tochter weder Verständnis noch Orientierung und Halt geben können.
Die Handlung wird mehrmals unterbrochen durch „Traumszenen“ (durch spezielle Licht und Klangeffekte herausgehoben), in denen innere Vorgänge, Wünsche, Phantasien der Hauptfiguren angedeutet werden, die im krassen Gegensatz zur Realität stehen.
Und wie endet die Geschichte? Judith springt nicht und sie begreift, dass sie sich wehren muss, und dass es auch an ihr liegt, wenn sie sich zum Opfer machen lässt. Wobei in der anschließenden Diskussion zwischen Theaterteam und Zuschauern gerade dies eine offene Frage blieb. Hat ein Mobbing-Opfer, das alleine steht, wirklich eine reelle Chance, sich aus dieser Rolle zu befreien?
Dieser Schluss ist erst kurz vor der Aufführung entstanden. Er ist versöhnlicher als die ursprünglich geplante Fassung, aber trotzdem kein Happy-end. Denn die Ursachen der Gewalt werden nicht beseitigt.
Man sollte dieses Stück auf Tournee schicken. Nicht nur viele Jugendliche, vor allem Eltern und Lehrer sollten es sehen und erfahren, wie sie von Jugendlichen wahrgenommen werden.
Dass die Zuschauer so beeindruckt und bewegt waren und fast alle zum anschließenden Gespräch blieben, liegt sicher auch an der durchweg hervorragenden schauspielerischen Leistung der jungen Spielerinnen und Spieler.
Besonders hervorheben möchte ich die 3 Hauptdarstellerinnen: Hannah van Bebber spielte die schwierige Rolle der Judith sensibel und mit großem Einfühlungsvermögen. Johanna Miller überzeugte in der Rolle der Alexa mit ihrer authentischen und lebendigen Spielweise. Von Anfang an dominierte sie die Klasse mit ihrem selbstbewussten, aufreizenden Auftreten und den supercoolen sadistischen Sprüchen.
Maja, die zwischen den Stühlen sitzt, zur Mitläuferin wird und am Ende doch die Mutigste von allen ist, wird sehr glaubwürdig und differenziert von Nadja Fuchs dargestellt.
Besonderes Lob verdienen auch Katrin Müller, Lea Kuhn und Jahnic Beck, die in bewundernswerter Weise immer wieder den Rollenwechsel vom Jugendlichen zum Altenheimbewohner meisterten und in der Rolle der Alten regelmäßig lautes Gelächter im Zuschauerraum auslösten. Auch Jakob Iglhaut bewältigte die undankbare Doppelrolle als Lehrer und Judiths Vater mit Bravour. An seiner Seite spielte Jasmin Hassmann die „nur noch peinliche“ Mutter so, als wäre ihr die Rolle auf den Leib geschrieben. Auch Lea Kuhn und Gianna Rösch bewältigten spielend ihre beiden Rollen als Alexas Eltern und Mitschülerinnen.
In weiteren Rollen spielten Saskia Bittner, Jana Hotz, Johannes van Bebber, Julian Bittner, Meike Kettenring, und, die jüngste Spielerin, Amira Bittner als Judiths kleine, süße Schwester.
Abschließend lässt sich nur noch wünschen, dass dieses erfolgreiche Team weiterarbeitet. Denn das ist Jugendarbeit, wie man sie sich nicht besser vorstellen kann: da wird Spaß mit Kreativität und gesellschaftskritischem Bewusstsein verbunden. Und das alles kostet die Gemeinde keinen Pfennig.
(Ch. Kleinbub-Dunkl)
andere Kritiken und Stimmen zum Stück
In dem Theaterstück Lieber doof sein geht es um das Problem Außenseiter: die selbstbewusste Alexa mobbt mit ihren Mitschülern die unbeliebte Judith, die aus einer Pfarrersfamilie kommt, keine Markenklamotten trägt und sich nicht der neusten Mode anpasst. Alexa und ihre Clique singen Judith Hasslieder vor, schütten einen Mülleimer über Judith aus und lesen ihr Tagebuch in der Klasse vor. Judith weiß nicht, was sie falsch macht und will sich schließlich vom Dach der Schule stürzen. Erst dann gestehen sich ihre Mitschüler, aber nicht Alexa, ihre Fehler ein, so springt Judith nicht vom Dach und Alexa wird dadurch unbeliebt.
Abgesehen davon, dass Gemobbte nur sehr selten aus ihrer Mobbing-Situation herauskommen, ist das Thema, besonders in den Details des Mobbingprozesses gut getroffen. Schon am Anfang des Stücks merkt man, dass das Stück witzig ist, aber das Thema nicht ins Lächerliche gezogen wird.
Leider sind die einzelnen Akte zu kurz, sodass man keinen starken Bezug zu den Personen entwickeln kann. Dass die Ursachen gezeigt werden, warum Alexa und auch Judith so reagieren, kam sehr gut an. Die Musik, meist von Nirvana, die während den Umbaupausen läuft, unterstützt die Problematik und lässt Platz für Interpretationen. Die Reaktionen des Lehrers, zum Beispiel: "Judith, du solltest heute wirklich duschen!" sind nicht ganz realistisch, fiel jedoch wegen der guten schauspielerischen Leistung der Darsteller kaum auf. Die Zwischenspiele der Senioren kommentieren den Handlungsverlauf und lockern die Stimmung auf.
Insgesamt war das Theaterstück ein Erfolg!
(J. Legnar)
Meine Meinung über „Lieber doof sein“
Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wie es für einen Außenseiter ist, wenn er gemobbt wird. Aber dieses Stück hat mich zum Nachdenken gebracht, und mir wurde klar, dass es furchtbar sein muss, getreten, mit Schimpfwörtern beworfen oder herumgeschubst zu werden. Judith musste ängstlich, verzweifelt und unglücklich gewesen sein.
Als ich das Theaterstück angeschaut habe, wurde aus dem Stück für mich Realität. Ich habe noch nie Schauspieler gesehen, die das so realistisch rübergebracht haben und so sehr Gefühle wie Trauer und Enttäuschung zum Ausdruck bringen können. Sie spielten für mich so gut, dass mir nur noch der Mund offen stand.
(Julia Hornig, Hör- und Sprachzentrum Neckargemünd)
Das Theaterstück
Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass ich endlich mal Jugendtheater anschauen darf, das von Schülern und Lehrern erfunden wurde. Das Theaterstück war einfach sehr gut. Die Ausstrahlung und Bewegung der Schauspieler war fantastisch. Ich fühlte mich, als wäre ich nicht in einem Theaterstück, sondern als erlebte ich alles in der Realität. Die Texte waren verständlich und deutlich ausgesprochen. Und dieses Theaterstück hat mich an eine Person erinnert, die so etwas ähnliches schon mal erlebt hat, die Schüler aus der Klasse immer gemobbt haben. Diese Person hat aber anders reagiert als Judith.
Das einzige, was mir an dem Stück nicht gefallen hat, war der Schluss.
(Simon Bernardo, Hör- und Sprachzentrum Neckargemünd) |