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Chronik
| (Rhein-Neckar Zeitung, 17. November 2003)
(Gemeinde-Nachrichten, 21. November 2003)
Amtsmissbrauch, Korruption gepaart mit sexueller Nötigung: Auch unsere Welt?
Heinrich von Kleist´s "Der zerbrochene Krug"
Gespielt vom Theaterverein Goukelkappe in Bammental
Richter Adam hat eine turbulente Nacht hinter sich: da wollte er sich doch für eine Gefälligkeit von Amtes wegen den Lohn durch das Mädchen Eve mit einer Liebesstunde vergelten lassen, wird aber prompt vom Verlobten der jungen Maid ertappt und kann nur mit viel Glück unerkannt, aber zerschunden und zerkratzt entkommen. Zurück bleibt nur der sprichwörtlich zerbrochene Krug.
Auch das klassische Theater hat sich daran gewöhnt, Kleist mehr als weltgewandten Philosophen denn als Dramatiker zu verstehen. So erscheinen die Figuren des Stückes auf der Bammentaler Bühne als Protagonisten des satirischen Wortes, zeichnen die Spuren von Nötigung, Erpressung und kriminellen Machenschaften unbeirrbar auf und lassen Richter Adam im Verlauf des folgenden Indizienprozesses unter der strengen Kuratel des Gerichtsrates Walter hoffnungslos im Gespinst seiner Lügen verstricken. Die moderne Überarbeitung der klassischen Sprache durch Anton Vögele hat der aktuellen Inszenierung gut getan, verschafft dem Stück Tempo, das zur Komödie gehört – und durchaus nicht zuungunsten Kleists. Und die Verlegung des Gerichtsortes ins hiesige Sinsheim tat ein Übriges, um das ortskundige Publikum im vollen Hause mitzureißen.
Ein heftiger Wind bläst, nach einem tiefem Atemholen des Dorfrichters Adam, mit dem die Aufführung beginnt, die Figuren auf die Bühne und dort durch- und umeinander. In diesem Milieu inszenierten Christel Herold-Mende und Waltraud Vögele handfestes, nicht nur den Text stimmlich illustrierendes, sondern auch das Bewegungsspiel nutzendes und so die Gefühlsregungen der handelnden Personen betonendes, abwechslungsreiches, wirklich turbulentes Theater. Michael Mende als Dorfrichter Adam war einmal mehr in seinem Element, als klumpfüßiges Schlitzohr mit Glatze, weniger dem Recht dienender als seine Macht auskostender, sündiger, aber nicht böser, vor allem aber komischer Schürzenjäger, der neben weiblichen Formen zur Not auch eine Entenbrust zu schätzen weiss. Als Marthe Rull pochte Christa Kleinbub-Dunkl unerbittlich auf ihr Recht, sie war ein energisches, stures Weib mit Haaren auf den Zähnen. Heinz Müller, als Gerichtsrat Walter, wie aus einer anderen Welt stammend, korrekt, den formalen Dingen nötiges Gewicht verleihend, am Ende doch nicht unbeeinflusst und den Teufel laufend lassend, zeigte als Antipode die richtige Distanz zur sündigen Dorfgerichtsbarkeit. Gelungen auch die bis zur Selbstaufgabe zu Kompromissen bereite, vor Liebe nicht blinde, sondern sehende Eve (Carolin Mende), die notfalls ihren Ruf beschädigen lässt, wenn es das Ziel, im gegebenen Fall, den geliebten Ruprecht (Tim Leibert) vor dem Militärdienst zu bewahren, erfordert. Nicht umsonst wird jene Ungeheuerlichkeit, die kein Mädchenmund wagt auszusprechen wohl nicht gänzlich ausgeschlossen gewesen sein. Köstlich Uwe Lay als Schreiber Licht, der wie ein Verwandter des Famulus Wagner in Goethes Faust keine Zweifel aufkommen ließ, sich die Richternachfolge ohne Umwege baldmöglichst erschleichen zu wollen. Bedrohlich und düster die Frau Brigitte (Heide Beck), dir kurz vor dem bewegten Finale noch einmal eine scheinbar diabolische Wendung in die Entwicklung bringt. Selbst in den begleitenden Nebenrollen, sei es etwa der Vater des Ruprecht (Jaro Vysocandsky), die beiden Mägden Grete und Liese (Irmela Müller-Wulff und Gisela Häberlen) oder der in einer Doppelrolle agierende Günther Häberlen, zeigte die Inszenierung keine Anzeichen mangelnder Sorgfalt. Auch alle Beteiligten neben der Bühne, zu nennen sind hier neben Bühnenbild und Kostümen (Anne-Dorothee Wüst) insbesondere die Maske (Sabine Ollram, Eva Legnar, Steffi Bittner, Patricia Zimmermann unter der Leitung von Rebecca Mannott) taten ein Übriges, die Aufführung zu einer kurzweiligen Erfahrung werden zu lassen.
Der Theaterverein Goukelkappe hat – wieder – einen erfrischenden Theaterabend dargeboten, der ein Ausmaß an Professionalität erreicht hat, der sonst von Ensemblehäusern nicht immer erreicht wird, und sich dabei die Spontanität von Nachwuchsmimen erhalten hat. Da kann man sich auf die nächste Inszenierung nur freuen.
(Prof. Hans Herbert Steiner, Heidelberg im November 2003) |
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