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Chronik
| (Gemeinde-Nachrichten, 27. Februar 2004)
Tom Sawyer und Huckleberry Finn
Wer von uns kennt die beiden nicht? Die große Saga aus dem Leben zweier Jugendlicher ist nicht zur Weltliteratur geworden, weil es lustige Streiche, auch nicht weil es da einen echten Mord gab. Meisterwerke weisen unter der vordergründigen Handlung eine bestimmte Atmosphäre auf, die der Leser, auch noch Jahrhunderte später, unbewusst erfasst, versteht, ja mit seinem eigenen Leben in eine gewisse Verbindung bringen kann.
Woher nahm Mark Twain, der große amerikanische Autor, nun die Inspiration für diesen Jugendklassiker? An was denken Sie beim Stichwort Tom Sawyer? Zu streichender Zaun, Tante Polly, tote Katze, ja weiter - elementar: Postschiff, großer, weiter Fluss? Ja richtig: Der Neckar könnte seine inspirative Quelle gewesen sein. Ich muss Ihnen widersprechen: Dieser Artikel wurde nicht in geistiger Umnachtung geschrieben, lesen Sie selbst aus einem Reisebericht des Amerikaners Mark Twain:
Wir erreichten pünktlich den Hafen Neckarsteinach, gingen zum Hotel und bestellten eine Forellenmahlzeit, die bereitstehen sollte, wenn wir von einer zweistündigen Wanderung zu Dorf und Burg Dilsberg zurückkämen, welche eine Meile entfernt am anderen Ufer des Flusses liegen... Wir setzten in einem Boot über und begannen den Aufstieg auf einem engen, steilen Pfad, der uns sogleich in den laubreichen Tiefen des Buschwerks untertauchen ließ. Aber es waren keineswegs kühle Tiefen, denn die Sonne brannte heiß, und es ging wenig oder gar kein Wind, um die Hitze zu mildern. Während wir die steile Steigung hinaufkeuchten, begegneten wir gelegentlich braunen, bloßköpfigen und barfüßigen Jungen und Mädchen und manchmal Männern; sie prallten unvermittelt auf uns, grüßten, verschwanden in den Büschen und waren so plötzlich und geheimnisvoll weg, wie sie gekommen waren... Die Kinder dienten uns als Fremdenführer; sie führten uns auf der Krone der höchsten Mauern entlang, nahmen uns dann mit in einen hohen Turm und zeigten uns eine weite, schöne Landschaft, die auf der einen Seite wogende Weiten bewaldeter Berge und eine nähere Aussicht auf wellige Striche grünen Tieflands, auf der anderen Seite mit Burgen geschmückte Felsen und Bergketten umfasste, während der Neckar in leuchtenden Schleifen dazwischen hinfloss. Aber das wichtigste Schaustück, der größte Stolz der Kinder, war der alte und leere Brunnen im grasbewachsenen Schlosshof... Aber einige meinten, er sei überhaupt gar kein Brunnen und niemals tiefer als jetzt gewesen, nämlich achtzig Fuß; in dieser Tiefe zweige ein unterirdischer Gang ab und führe allmählich abwärts zu einer entfernten Stelle im Tal, wo er in einen Keller oder einen anderen verborgenen Winkel münde, und das Geheimnis dieses Ortes sei jetzt verloren gegangen...
Sehr spannend und unterhaltsam zu lesen, die Odenwald/Neckar-Reiseberichte des Mark Twain. Vielleicht unternehmen Sie ja sogar eine auf diesen Berichten beruhende Mark-Twain-Stadtführung in Heidelberg, bevor Sie unsere Tom Sawyer Aufführungen am 13. und 14. März im evangelischen Gemeindehaus besuchen. Und damit auch Sie als Erwachsene sich wirklich angesprochen fühlen, hier noch einmal der Autor:
Obwohl dies Buch vor allem zur Unterhaltung der kleinen Welt geschrieben wurde, so darf ich doch wohl hoffen, dass es auch von Erwachsenen nicht ganz unbeachtet gelassen werde, habe ich doch darin versucht, ihnen auf angenehme Weise zu zeigen, was sie einst selbst waren, wie sie fühlten, dachten, sprachen, und welcher Art ihr Ehrgeiz und ihre Unternehmungen waren.
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